Paulette am Strand

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19,90 

Roman zur Einführung in die Soziologie

ISBN: 3938808527
ISBN 13: 9783938808528
Autor: Wagner, Gerhard
Verlag: Velbrück Wissenschaft GmbH
Umfang: 160 S.
Erscheinungsdatum: 31.10.2008
Format: 1 x 21 x 12.5
Gewicht: 192 g
Produktform: Kartoniert
Einband: KT
Artikelnummer: 1094948 Kategorie:

Beschreibung

LESEPROBE: Ebenso ermattet wie das gleißende Gold des Mittags erscheint Agnès mit zwei Getränkedosen in der Tür des Wohnwagens: 'Du hast Deinen Nachmittag geopfert, um mir zu helfen. Das war sehr lieb. Danke!' 'Gern geschehen!' 'Was möchtest Du als Erfrischung: Eistee mit Pfirsichgeschmack oder Cola light?' 'Cola wäre mir lieber', antwortet Paulette. Agnès blickt zum Himmel, an dem ein Paragleiter im Tiefflug vorbeischwebt, und ist auch schon über die Türschwelle gestolpert: 'Hoppla! Nichts passiert. Bleib' sitzen!' Lächelnd gibt sie Paulette eine Dose und lässt sich ihr gegenüber in den anderen Campingstuhl sinken. Wieder entspannt, öffnet Paulette das Cola mit einem lauten Zisch und trinkt einen Schluck: 'Was Du gestern über das Sehen gesagt hast, ist faszinierend. Hätte nie gedacht, dass es eine soziologische Bedeutung hat.' 'Die Sinne sind die Brücke, über die man zu den Menschen gelangt, um sie wahrnehmen und erkennen zu können. Andererseits hinterlässt jeder Sinneseindruck immer auch eine Wirkung in einem selbst: Sympathie, Antipathie, Heiterkeit, Traurigkeit, Lust, Unlust, Interesse, Desinteresse, was auch immer. Ein entstelltes Gesicht wirkt abstoßend, eine sanfte Stimme anziehend.' 'Wenn ich Dich gestern richtig verstanden habe, ist das Auge wichtiger für die Soziologie als das Ohr, oder?' 'So pauschal lässt sich das nicht sagen. Aber Deine Frage ist nicht abwegig, schon allein weil das Auge selbst ein soziales Organ ist. Das Ohr ist egoistisch.' 'Wieso?' 'Es nimmt nur und gibt nichts. Erst zusammen mit dem Mund, der Laute von sich gibt, entsteht ein Geben und Nehmen, und das auch nur im Nacheinander, denn man kann nicht richtig sprechen, wenn man hört, und nicht richtig hören, wenn man spricht. Das Auge verschmilzt das Geben und Nehmen in einem einzigen Blick. Es kann nicht wahrnehmen, ohne wahrzugeben, denn jeder Blick ist ausdrucksvoll. Jemand hat einmal gesagt: Das Auge entschleiert dem Anderen die Seele, die ihn zu entschleiern sucht.' 'Dann ist das Auge das Fenster der Seele, durch das man hinaus- und hineinsehen kann.' 'Du hast also doch Sinn für Poesie!' Lächelnd öffnet Agnès ihren Eistee und nippt daran: 'Mit dem Auge erkennen wir den Anderen und geben uns ihm zu erkennen.' 'Deshalb vermeidet man den Blickkontakt, wenn man etwas ausgefressen hat. Stimmt's?' 'Im Blick von Auge zu Auge kommt es auf beiden Seiten zu einem gleichzeitigen Erkennen und Erkanntwerden, was natürlich auch Wirkungen auf beiden Seiten hinterlässt, sodass man von einer Wechselwirkung sprechen kann. In diesem Blick entsteht die unmittelbarste und vollkommste Gegenseitigkeit, die es zwischen Menschen gibt.' '. also auch zwischen uns beiden im Moment. vis-à-vis.' 'Ich sehe Dich und sehe, dass Du mich siehst. Du siehst mich und siehst, dass ich Dich sehe. Wir sind uns unmittelbar gegenwärtig, und schon beginnt das Nehmen und Geben. Ich erkenne etwas in Deinen Augen, das eine Wirkung in mir hinterlässt.' 'Was. was erkennst Du?' 'Neugier.' 'Im Ernst!' 'Eine unbändige Lebenslust.' 'Und was bewirkt das in Dir? Sympathie?' 'Unbedingt!' Paulette lächelt. 'Indem ich Dich erkenne, gebe ich mich zu erkennen. Du erkennst etwas in meinen Augen, das eine Wirkung in Dir hinterlässt, und gibst Dich wiederum zu erkennen. Nun können wir Blicke tauschen. Ich werfe Dir einen fragenden Blick zu.' '. weil Du wissen willst, was ich erkannt habe und was das in mir bewirkt hat, nicht wahr?' 'Stimmt.' 'Das verrate ich nicht, aber weil mir gefällt, was ich gesehen habe, antworte ich mit einem strahlenden Blick', den Paulette mit einem Augenaufschlag prompt in ihr Gesicht zaubert. Agnès nimmt einen Schluck Eistee: 'Dieses Fragen und Antworten macht noch deutlicher, dass zwischen uns eine Wechselwirkung stattfindet: dass wir Wirkungen aufeinander ausüben und Wirkungen voneinander empfangen.' 'Wechselwirkung, das klingt eher nach Physik.' 'K

Paulette am Strand folgt der Devise Schillers: Nur durch das Morgentor des Schönen dringst du in der Erkenntnis Land. Dieser Roman ist die erste Einführung in die Soziologie, die sich narrativer Mittel bedient, um dem Leser ebenso anschaulich wie systematisch die Anfangsgründe dieser faszinierenden Wissenschaft zu vermitteln und ihm dadurch zugleich ein besseres Verständnis der Gesellschaft, in der er lebt, zu ermöglichen. Paulette ist eine neunzehn Jahre junge Französin, die sich in Paris mit Jobs durchbringt, aber lieber Soziologie studieren möchte. Im Urlaub in der Bretagne trifft sie Agnès, eine ehemalige Soziologin, die nun einen Bootsverleih betreibt und Surfunterricht erteilt. Agnès führt Paulette anhand konkreter Beispiele wie dem Flirt, dem 'Oben-ohne', der Mode, dem Besuch eines Strandtheaters etc. in das soziologische Denken ein und erzählt ihr nebenbei die Geschichte der Gesellschaft von ihren Anfängen als Geheimgesellschaft im absolutistischen Staat bis hin zum absolutistischen global village, in dem, wie die naseweise Paulette herausfinden wird, neue Geheimnisse gehütet werden, nicht zuletzt von Agnès. Gerhard Wagner geht, davon aus, dass die Werke der Klassiker Georg Simmel und Max Weber den besten Einstieg in die Soziologie bieten, wenn man sie inhaltlich zusammenführt und ihre gegensätzlichen Stile aufhebt. Tatsächlich haben diese Werke nichts an Gehalt verloren. Noch weitgehend frei von Jargon, lässt sich der essayistisch-assoziierende Stil des einen mit dem definitorisch-abstrahierenden Stil des anderen in einer literarischen Form vermitteln, die dem Leser das soziologische Denken ebenso anschaulich wie systematisch erschließt und ihm gleichzeitig einen Einblick in die Gesellschaft in ihrem So-und-nicht-anders-Gewordensein gibt. Zu diesem Zweck wird in einem Roman die Geschichte von Paulette am Strand erzählt, die sich dem Spielfilm 'Pauline am Strand' von Eric Rohmer verpflichtet weiß, auch wenn sie eigene Wege geht, denen es an Spannung nicht fehlt. Verpflichtet weiß sie sich nicht nur hinsichtlich des Plaudertons, in den die an antike Autoren erinnernde dialogische Struktur zwischen Lehrendem und Lernendem eingezeichnet wurde. Verpflichtet weiß sie sich auch hinsichtlich der Flüssigkeit ihres maritimen Ambientes, hat doch mit dem Wandel der bürgerlichen Gesellschaft der Moderne zur massendemokratischen Weltgesellschaft der Postmoderne der Strand die Großstadt als Symbol der Gesellschaft abgelöst. Dieser Roman zur Einführung in die Soziologie folgt dem Ablauf einer Urlaubswoche. Jeder Wochentag ist der Explikation zentraler soziologischer Grundgedanken und Grundbegriffe gewidmet. Der Text orientiert sich an dem in Paragraphen gegliederten Aufbau der 'Soziologischen Grundbegriffe' Max Webers. In einem Anhang werden die entsprechenden Bezugsstellen sowie die anderen verwendeten Grundlagentexte genannt, so dass der Leser diese soziologische Fachliteratur begleitend und vertiefend nachlesen kann.

Autorenporträt

Gerhard Wagner, geb. 1958, ist Professor für Soziologie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Buchpublikationen gehören u.a.: Projekt Europa (2005); Kultur in Zeiten der Globalisierung (2005): Eine Geschichte der Soziologie (2007); Communicating in the Third Space (2008). Er ist Mitherausgeber der fünfbändigen Ausgabe der Werke Albert Salomons (2008/09).

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