Beschreibung
1. Warum Demokratieschutz? "The problem [.] attaches to democratic politics as such partly because the people are never so fully what they need to be (virtuous, democratic, complete) that a democracy can deny credibly that it resorts to violence, imposition, or coercion to maintain itself." 1.1. Das Dilemma der Demokratie Demokratische Staaten sehen sich regelmäßig mit einem Dilemma kon-frontiert, wenn es um die Frage nach der Erhaltung ihrer demokratischen Verfasstheit geht. Ihnen stehen in dieser Hinsicht zwei gleichermaßen problematische Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung, die beide zu unerwünschten Resultaten führen können. Sie können sich einerseits da-für entscheiden, demokratische Partizipationsmöglichkeiten für alle zu öffnen, und so riskieren, dass auch anti-demokratisch gesinnte Personen an die Macht kommen und womöglich die Demokratie abschaffen. Andererseits können demokratische Staaten auch die Partizipationsmöglichkeiten einschränken und so gegen die eigenen Grundprinzipien der gleichen Partizipation verstoßen. Das Dilemma ergibt sich also aus der Erkenntnis, dass es grundsätzlich möglich ist, die Demokratie mit demokratischen Mitteln abzuschaffen. Der demokratische Staat steht vor der dilemmatischen Wahl, diese Gefahr in Kauf zu nehmen oder aber Ausnahmen von den demokratischen Grundprinzipien zu formulieren, um sich zu schützen. Um zu verhindern, dass die Demokratie mit demokratischen Mitteln abgeschafft wird, kann sich der demokratische Staat entscheiden, sich stattdessen mit nicht-demokratischen Mitteln zu schützen. In diesem Zusammenhang sprechen viele Autor_innen nicht nur von einem Dilemma, sondern von einer paradoxen Situation. Der Begriff der Paradoxien kann prinzipiell auf eine ganze Reihe von (scheinbaren und tatsächlichen) Widersprüchen angewandt werden. Hier wird unter Parado-xie der Umstand verstanden, dass aus einer Idee oder These logisch ein-wandfreie Schlussfolgerungen gezogen werden können, die jedoch zum Gegenteil der ursprünglichen These führen. Ich gehe davon aus, dass beide Entscheidungsmöglichkeiten des demokratischen Dilemmas para-doxe Züge tragen. Die These, die der ersten Entscheidungsmöglichkeit zugrunde liegt, kann folgendermaßen formuliert werden: Um Demokratie zu ermöglichen, müssen allen die gleichen Partizipationschancen offen stehen. Wird diese Idee vollständig umgesetzt, kann es jedoch sein, dass auch solche Personen partizipieren und an die Macht kommen, die nach ihrer Wahl beschließen, die Demokratie abzuschaffen. Allen die demokratische Partizipation zu ermöglichen, kann also zur Abschaffung der Partizipationsmöglichkeiten aller führen. Die zweite Wahlmöglichkeit lässt sich ebenfalls als paradoxe These darstellen: Um die Demokratie zu schützen, werden von staatlicher Seite die Partizipationsmöglichkeiten bestimmter Individuen oder ganzer Gruppen von Individuen eingeschränkt. Das führt wiederum dazu, dass nicht alle gleichermaßen partizipieren können, was der (teilweisen) Außerkraftsetzung von Grundprinzipien der Demokratie gleichkommt. Bei den Bemühungen um den Schutz der Demokratie kann die Demokratie also auch durch ihre Beschützer_innen Schaden nehmen. Die beiden Wahlmöglichkeiten des Dilemmas führen somit nicht nur zu unerwünschten Resultaten, sondern sind darüber hinaus jeweils para-dox. Das demokratische Dilemma kann mithin als paradoxales Dilemma bezeichnet werden. Die dilemmatische Situation ist - entgegen der vorherigen Formulie-rung - nicht auf die nationalstaatliche Ebene beschränkt. Sie bleibt auch dann bestehen, wenn die zum Schutz der Demokratie eingreifenden Ak-teure nicht zum betroffenen Staat selbst gehören, sondern von außerhalb eingreifen. Auch hier stellen sich den handelnden Akteuren zwei gleichsam problematische Entscheidungsmöglichkeiten dar: Entweder sie lassen die Abschaffung der Demokratie in einem anderen Staat zu, ohne einzugreifen, oder aber sie greifen ein und nehmen dabei die Gefahr in Kauf, die staatliche Souveränität d
Autorenporträt
Sabrina Engelmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Frankfurt University of Applied Sciences.