Leben jenseits des Todes?

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Transmortalität unter besonderer Berücksichtigung der Organspende, Todesbilder – Studien zum gesellschaftlichen Umgang mit dem Tod 9, Todesbilder. Studien zum gesellschaftlichen Umgang mit dem Tod 9

ISBN: 3593505673
ISBN 13: 9783593505671
Herausgeber: Dominik Groß/Stephanie Kaiser/Brigitte Tag
Verlag: Campus Verlag
Umfang: 181 S.
Erscheinungsdatum: 09.06.2016
Auflage: 1/2016
Format: 1.3 x 21.5 x 14.1
Gewicht: 236 g
Produktform: Kartoniert
Einband: PB

Todesbilder – Studien zum gesellschaftlichen Umgang mit dem Tod Herausgegeben von Dominik Groß, Andrea Esser, Hubert Knoblauch und Brigitte Tag Handelt es sich bei einer Herztransplantation um einen medizinischen Eingriff oder um ein ‚partielles Weiterleben‘ eines Spenders im Körper des Empfängers? Die Beiträger beschäftigen sich mit der Organspende und den ihr zugrundeliegenden Motiven und Deutungsmustern. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob die Organspende als prototypisches Beispiel für Transmortalität gelten kann – also für das Bestreben, den eigenen toten Körper in seiner Absolutheit zu relativieren und über den Tod hinaus fortzuleben.

Artikelnummer: 8869331 Kategorie:

Beschreibung

Thematische Einführung Leben jenseits des Todes? Transmortalität unter besonderer Berücksichtigung der Organspende Stephanie Kaiser, Brigitte Tag und Dominik Groß 2012 erschütterten mehrere Skandale das seit den 1960er Jahren in den "Eurotransplant"-Ländern etablierte System der Organvermittlung wie auch die für Deutschland zuständige Koordinierungsstelle, die "Deutsche Stiftung Organtransplantation". Immer mehr Transplantationszentren mussten einräumen, dass es zu Unregelmäßigkeiten bei der Erstellung von Wartelisten und (damit verbunden) bei Allokationsentscheidungen gekom-men war. Die Anzahl der Organspender sank in Deutschland in den Jahren nach der Veröffentlichung und kritischen Aufarbeitung dieser Richtlinienverstöße deutlich und erreichte ihren Tiefpunkt im Jahr 2014 mit bundesweit 864 postmortalen Organspenden. 2011, im Jahr vor dem medialen Aufschrei, den die Manipulationen in der Öffentlichkeit ausgelöst hatten, waren demgegenüber noch 1.296 Spenderinnen und Spender registriert worden. Ein Anstieg dieser Zahlen konnte erstmals wieder im Jahr 2015 verzeichnet werden: Im Vergleich zum Vorjahr ergab sich allerdings nur eine diskrete Zunahme um 3,2 Prozent. Das beschriebene Skandalon markiert und illustriert einen maßgeb-lichen Sachverhalt: die Organspende gehört zu den Themen, die eine starke öffentliche Aufmerksamkeit erfahren - und dies in durchaus kritischer Weise. Diskutiert wurden und werden nicht nur, wie im skizzierten Fall, Fragen der gerechten Verteilung der verfügbaren Organe, sondern auch die ihr zugrunde liegenden rechtlichen Regelungen (Zustimmungslösung versus Widerspruchslösung), Inhalt und Art der Aufklärungskampagnen rund um das Thema Organspende, soziale Fehlentwicklungen und schiefe Ebenen wie die Herausbildung eines internationalen Schwarzmarktes für Organe (Organhandel) sowie das der Organentnahmepraxis vorausgesetzte Hirntodkriterium und dessen medizinische, normative und soziale Zulässigkeit beziehungsweise Haltbarkeit. Ein weiterer Aspekt der Organspende wird dagegen im öffentlichen Raum nur wenig thematisiert: etwaige selbstbezogene Motive für die Spende von Organen. Tatsächlich gilt die Organspende weithin als (im Wesent-lichen) altruistisch motiviert. Jene Sichtweise wird bereits durch den Ter-minus Organspende insinuiert. Dabei gibt es durchaus Hinweise, dass Menschen in der Organspende eine - gleichsam letzte - Möglichkeit er-blicken, im Falle des eigenen Hirntods im Körper eines anderen (partiell) "weiterzuleben". Besonders einprägsam und emotional aufgeladen ist hierbei das Bild eines (transplantierten) Herzens eines Spenders, das fortan im Organismus eines anderen weiter schlägt und so wirksam verhindert, dass der Spender des Herzens (vollständig) dem Tod preisgegeben ist. Diese Sichtweise gilt vor allem den Angehörigen als tröstend und sinnstiftend, wie das Beispiel eines verunglückten 15-jährigen Rennfahrers zeigt, der einen Organspendeausweis besaß: "Sein Herz schlägt jetzt in einem 12-jährigen Mädchen. [Sein] Vater, gab [] ein Interview, in dem er über das Engagement seines Sohnes über den Tod hinaus sprach. Ja, wir sind stolz auf Jonas und froh, dass er in einem anderen Menschen weiterlebt." Die hier angesprochene eigennützige Motivation zur Organspende ver-weist zugleich auf ein weiteres, gleichsam übergeordnetes rezentes Phäno-men: auf "Transmortalität". Beide Aspekte - die verschiedenen Deutungsmuster und Motivationen rund um das Thema Organspende einerseits und das Phänomen der Transmortalität mit seinen vielfältigen sozialen und normativen Implikationen andererseits - stehen im Mittelpunkt dieses Buchbandes, der in Aachen zugleich den Schlusspunkt des seit 2012 von der VolkswagenStiftung geförderten interdisziplinären Forschungsprojektes Tod und toter Körper: Transmortalität setzt. Vor dem Hintergrund dieser thematischen Schwerpunktbildung scheint es geboten, zunächst die von den Herausgebern zugrunde gelegte, noch wenig geläufige Definition von Transmortalität zu explizieren und anhand von Beispielen zu veranschaulichen: Besagter Terminus kennzeichnet rezente Versuche, den Tod in seiner Absolutheit und den toten Körper in seiner Vergänglichkeit zu relativieren. Damit einher geht der Verlust einer klaren, eindeutigen Grenzziehung zwischen "lebendig" und "tot". Folglich wird der Bereich rund um den Eintritt des Todes - und damit zugleich auch das Verständnis vom Tod und seiner Reichweite - offen für Interpretationen. Das Phänomen Transmortalität überlagert so bisher wirksame biologische beziehungsweise biomedizinische, konven-tionelle und soziokulturelle Konstrukte und fügt psychologische, metapho-rische und metaphysische Ebenen hinzu. Es scheint sinnvoll, diese zunächst sehr theoretisch und abstrakt an-mutende definitorische Beschreibung anhand von Szenarien zu konkretisieren: So ist (1) die Organtransplantation insofern ein prototypisches Beispiel für Transmortalität, als sie es möglich macht, dass etwa das Herz eines (hirn) toten Menschen im Körper des Empfängers weiter schlägt. Für Personen, die eine derartige Sichtweise auf die Organspende und ihre Po-tentiale haben, ist der (Hirn)Tod des Spenders kein absolutes Ereignis, vielmehr tritt dieser in letzter Konsequenz erst mit dem letzten Herzschlag des Spenderherzens ein. Auch (2) die Ganzkörperplastination fällt demnach unter die vorgenannte Definition von Transmortalität: Gunther von Hagens hat das Verfahren in den 1970er Jahren entwickelt - gleichsam als moderne Variante der klassischen anatomischen Präparation, die es nunmehr gestattet, tote Körper unter Verwendung von Kunststoff dauerhaft in geruchsfreier und durchaus ästhetischer Form zu konservieren. In den Wanderausstellungen "Körperwelten" sowie der ständigen Ausstellung und dem anatomischen Kompetenzzentrum des "Plastinariums" im brandenburgischen Guben können jene (lebensfrisch anmutenden) Plastinate betrachtet werden. Bei der Ganzkörperplastination bleibt der tote Körper als solcher (zumeist mit Ausnahme der Haut) erhalten. Er existiert somit (im Unterschied zu verweslichen beerdigten Leichen oder zu Asche zerfallenen kremierten Körpern) materiell dauerhaft fort und kann beispielsweise als Exponat wirksam werden - ein Sachverhalt, den manche Körperspender als "Weiterleben" interpretieren. So führt das Institut für Plastination in seinem (auf Wunsch an potentielle Körperspender verschickten) Informationsmaterial unter den ver-schiedenen Motiven zur Körperspende auch den Wunsch auf, als Plasti-nat dauerhaft erhalten zu bleiben. Entsprechend wird für eine Plastination auch durch den markanten Spruch "Willst du wirklich ewig leben, musst du deinen Körper geben" geworben. In besagtem Fall wird "Weiter-leben" verkürzt mit "Überdauern" oder "Weiterwirken" gleichgesetzt. Mit anderen Worten: Körperspender imaginieren zum Teil eine materielle Fortexistenz in einem unvergänglichen Körper und damit ein Fortbe-stehen jenseits ihres persönlichen Todes. Die Plastination weist (3) ihrerseits Verbindungslinien zur Diamantbe-stattung beziehungsweise Diamantierung auf: Bei Letzterer wird ein kleiner Teil der menschlichen Asche nach einem spezifischen Extraktions- und Verarbeitungsverfahren in die Form eines - unvergänglichen - Diamanten gepresst. Auch die Diamantierung ist somit eine Antwort auf die Vergänglichkeit des Toten. Hinzu kommt im Fall des Diamanten die Ästhetisierung der Erscheinungsform: Die vielbeschriebene Schönheit dieses "Lebensjuwels" - einer der Anbieter von Diamantierungen firmiert tatsächlich unter dem Markennamen LifeGem® - steht hierbei in krassem Gegensatz zur hässlichen beziehungsweise als hässlich imaginierten verwesenden (und mit Fäulnisgerüchen verbundenen) Leiche. Ein noch weitreichenderes Beispiel für Transmortalität ist (4) das Ver-fahren der Kryonik beziehungsweise der Kryonisation: Die Kryonik verweist in das Feld der Biomedizin und des Transhumanismus. Ihre Anhänger propagieren eine bestimmte Technik der Kältekonservi...

Todesbilder - Studien zum gesellschaftlichen Umgang mit dem Tod Herausgegeben von Dominik Groß, Andrea Esser, Hubert Knoblauch und Brigitte Tag Handelt es sich bei einer Herztransplantation um einen medizinischen Eingriff oder um ein »partielles Weiterleben« eines Spenders im Körper des Empfängers? Die Beiträger beschäftigen sich mit der Organspende und den ihr zugrundeliegenden Motiven und Deutungsmustern. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob die Organspende als prototypisches Beispiel für Transmortalität gelten kann - also für das Bestreben, den eigenen toten Körper in seiner Absolutheit zu relativieren und über den Tod hinaus fortzuleben.

Autorenporträt

Dominik Groß ist Professor am Inst. für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der RWTH Aachen. Stephanie Kaiser ist dort wiss. Mitarbeiterin. Brigitte Tag ist Professorin für Straf- und Medizinrecht an der Universität Zürich.

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