Daheim ist anderswo

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Ein jüdisches Schicksal erinnert von Vater und Tochter, Campus Judaica 26

ISBN: 3593390221
ISBN 13: 9783593390222
Autor: Furst, Lilian R/Furst, Desider
Verlag: Campus Verlag
Umfang: 239 S., 11 Fotos
Erscheinungsdatum: 05.10.2009
Auflage: 1/2009
Format: 2.4 x 22 x 15.4
Gewicht: 461 g
Produktform: Gebunden/Hardback
Einband: GEB
Originaltitel: Home is Somewhere Else – Autobiography in Two Voices

Eine gemeinsame Autobiografie von Vater und Tochter

At Christmas 1938, the Jewish family Furst escaped from Vienna all the way through Western Europe to Manchester; in the 1970s daughter Lilian and her father Desider finally moved to the USA. Both wrote about their memories of that time, independently of each other, and Lilian has now combined their recollections for this book. Because it shows us two distinct versions of the same original story, this “double” autobiography constitutes a very special historical document.

Artikelnummer: 1280681 Kategorie:

Beschreibung

Nach jenem Tag im März 1938, als ich der jubelnden Menschenmenge unten auf der Straße zusah, wurde alles anders. Ich kann mich nicht an die genaue Abfolge der Veränderungen erinnern; anfangs waren sie kaum merklich, aber innerhalb weniger Monate hatten sie bereits beängstigende Formen angenommen. Keine Besuche mehr in der Konditorei Gerstner für mich, keine Abende mehr im Kaffeehaus oder im Theater für meine Eltern. Deutsche Juden, die wir ein paar Jahre zuvor in Karlsbad kennen gelernt hatten, meinten, alles sei nur halb so schlimm, man solle sich, nach dem Motto: "Bellende Hunde beißen nicht", unauffällig verhalten, bis der Spuk vorüber sei, denn ein extremistisches System wie das Naziregime könne sich in einer zivilisierten Gesellschaft ohnehin nicht lange halten. Unsere Hausangestellten mussten uns verlassen, weil sie als Nichtjüdinnen nicht bei Juden arbeiten durften; sie verabschiedeten sich tränenreich und bedauerten, eine so gute Stellung zu verlieren. Ich musste von der Volksschule, in die ich im Herbst eingeschult worden war, in eine nicht weit entfernt liegende jüdische Schule wechseln. Wenn wir zum Schultor herauskamen, rannten meine ehemaligen Klassenkameraden herbei und bombardierten uns mit Steinen und Schimpfworten. Mein neuer Lehrer in der ersten Klasse war ein älterer Zoologieprofessor, der aufgrund der Rassenverordnungen nicht mehr an der Universität unterrichten durfte. Er hatte keine Ahnung, wie man mit Sechsjährigen umging. Er las uns Geschichten vor, spielte Geige und ermahnte uns, brav zu sein. Wir hatten bald begriffen, dass wir versuchen mussten, das Beste aus unserer Lage zu machen. Die Klasse wurde zusehends kleiner, immer mehr Kinder verschwanden auf uns rätselhafte Weise: in die Emigration oder ins Konzentrationslager? "Konzentrationslager" war einer der Begriffe in einem Vokabular, das sich mir ganz neu eröffnete. Ausreisegenehmigung, Visum, Verhaftung, Verschwinden, Halbjude, Vierteljude, Devisen - alles Dinge, um die sich eine Siebenjährige normalerweise keine Gedanken macht und die sie auch gar nicht versteht. Ich spürte lediglich, dass wir unerwünscht und in Gefahr waren, verzweifelt auf der Suche nach einem Ausweg - aber wohin sollte uns dieser Ausweg führen, worin sollte er bestehen? Mein wohlgeordneter Alltag wich einem Leben in ständiger Improvisation, mit der ein Gefühl tiefer Verunsicherung einherging. Wir, vor kurzem noch gesetzestreue, Steuern zahlende Bürger Österreichs, waren plötzlich zu unerwünschten Fremden, zu Staatsfeinden geworden wegen unseres Glaubens, in den wir hineingeboren worden waren. Die Stimmung bei uns daheim war gedämpft, am Telefon und hinter vorgehaltener Hand wurden leise tuschelnd Pläne geschmiedet und Gerüchte ausgetauscht. Ich wusste, dass ich still sein musste, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Wir horchten ängstlich auf die Schritte der SA-Leute im Hausflur und öffneten die Tür nur, wenn das vereinbarte Klingelzeichen der Familie, dreimaliges kurzes Läuten, ertönte. Eine Szene aus jenen Tagen, die ich als besonders absurd empfand, ist mir bis heute deutlich in Erinnerung geblieben: Wir hatten einen mächtigen Kachelofen in der Diele, in dem den ganzen Winter über ein Feuer brannte und die ganze Wohnung heizte. Eines Tages überraschte ich meine Eltern dabei, wie sie stapelweise Bücher in dem Ofen verbrannten. Es war ein beinahe unheimlicher Anblick für mich, ein Symbol dafür, dass unsere normale Ordnung auf den Kopf gestellt wurde. Bücher waren bei uns immer liebevoll und mit Respekt behandelt worden, sie waren unsere treuesten Freunde. Die Vernichtung von Büchern, die auf der Verbotsliste der Nazis standen, wirkte auf mich wie ein schauriges Opferritual, was es ja auch tatsächlich war. Zwei Ereignisse machten den Ernst unserer Lage deutlich; sie markierten den Punkt, an dem wir erkannten, dass es kein Zurück gab, dass wir das Land verlassen mussten. Das eine war die Bekanntmachung des allgemeinen Berufsverbots für Juden im September 1938, dur

Weihnachten 1938 steht die Familie Fürst am Bahnhof, um aus ihrer Heimatstadt Wien zu fliehen. Die Fürsts sind fromme Juden. Ihre Flucht führt sie quer durch Westeuropa über Köln, Brüssel und London nach Manchester; in den 1970er Jahren schließlich gehen Tochter Lilian und ihr Vater Desider in die USA. Beide haben, unabhängig voneinander, ihre Erinnerungen an diese Zeit aufgeschrieben, die Lilian schließlich im vorliegenden Buch zusammengeführt hat. So entstehen zwei Versionen einer Geschichte, die eigentlich die gleiche ist und sich doch wesentlich unterscheidet: Der Vater blickt als älterer Mann zurück auf sein Leben, die Tochter ruft sich als erwachsene Frau ihre Kindheit und Jugend ins Gedächtnis. Der Leser erhält damit Einblick in die Nöte eines Erwachsenen, der seine mühevoll aufgebaute Existenz aufgeben und durch die Flucht das Überleben seiner Familie sichern muss. Gleichzeitig sieht er die Flucht und die daraus resultierende existenzielle Verunsicherung mit den Augen eines Kindes. Und genau dies macht diese 'doppelte ' Autobiografie zu einem ganz besonderen Zeitdokument.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt Aus zweier Zeugen Mund oder: Finis Austriae? Ludger Heid Vorwort Einführung Ankunft in Wien Wien / Flucht aus Wien Köln Brüssel London Chertsey / Insel Man Bedford Manchester Die stille Teilhaberin Und so lebten sie glücklich bis ans Ende ihrer Tage... Nachwort

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