Beschreibung
Tief in den Bergen in einem zugefrorenen Zug, der unter einer flauschigen Schneedecke steckte, machten sich Charlie und die Löwen auf den Weg zum Privatwaggon des Königs. Schüchtern lächelte Charlie den hünenhaften Leibwächter des Königs an (Seine Majestät lebte in ständiger Angst vor Attentätern) und klopfte an die polierte Holztür. (Die Löwen waren natürlich nicht schüchtern. Sie wussten gar nicht, was das bedeutete.) Falls den Leibwächter der Anblick von sechs Löwen, die seinen Herrn besuchen wollten, überraschte, dann war er viel zu gut ausgebildet, um es sich anmerken zu lassen. 'Kommt rein!', krähte eine aufgeregte Stimme. Der König freute sich so, die Löwen kennen zu lernen, dass er nicht einmal wartete, bis Edward die Tür öffnete. Er sprang einfach auf, um selber aufzumachen, und dann sprang er voller Verblüffung wieder zurück auf seinen Thron. 'Liebe Güte', rief er. Die Löwen marschierten in einer Reihe durch den piekfeinen prunkvollen Waggon, wobei sie die Tatzen behutsam auf den schönen Perserteppich setzten. Durch die vereisten Fenster drang nur dämmriges grünliches Licht. Die Wirkung war außerordentlich. 'Donnerwetter', rief der König. Er war überwältigt. 'Du lieber Himmel. Wunderbar. Und so leise. Spektakulär. Absolut spektakulär.' Die Löwinnen legten sich um Charlies Füße wie die Schleppe einer Königin. Der junge Löwe und Elsina saßen wie Sphinxen kerzengerade rechts und links von ihm, und der älteste Löwe stand daneben, stolz und still wie ein alter Kaiser. Sie sahen den König an, dann Edward, und dann legten die Löwinnen den Kopf auf die riesigen Tatzen und taten so, als würden sie schlafen. Charlie ertappte sich dabei, dass er vor lauter Verlegenheit dem jungen Löwen die Ohren kraulte. Edward fielen fast die Augen aus dem Kopf. Schnell zog Charlie die Hand wieder zurück. König Boris schüttelte den Kopf. 'Wunderbar', seufzte er glücklich. Und dann sagte er noch etwas auf Bulgarisch. Er brauchte einen Augenblick oder zwei, um sich wieder zu fassen. Edward beobachtete das Ganze aus einem sicheren Winkel des Waggons. In aller Stille registrierte er, was passierte, sah mit großem, wenn auch gut getarntem Interesse von Charlie zu den Löwen und wieder zurück und versuchte dabei ein Gesicht zu machen, als würde er nichts Ungewöhnliches daran finden. Nach jahrelanger Erfahrung hatte er eine Menge Übung darin, aber noch nie war es ihm so schwer gefallen. 'Warum versuchen sie nicht, uns zu...' König Boris suchte nach Worten. Die, die er fand, waren ihm ein bisschen zu unheimlich. 'Es sind Zirkuslöwen, sie sind dressiert', sagte Charlie. Auch wenn er König Boris vertraute und ihm alles über ihre Flucht aus dem Zirkus und die Entführung seiner Eltern erzählt hatte, gab es eine Sache, die Charlie nicht verraten hatte. Er hatte nicht erwähnt, dass er fließend Katz sprach. Sein Bauchgefühl riet ihm, diese Tatsache immer geheim zu halten. Er wusste irgendwie, dass die Menschen damit häufig nicht umgehen konnten. Vielleicht hätte er es selbst nicht geglaubt, wenn ihm jemand erzählen würde, dass er als Baby von einem Leopardenjungen gekratzt worden sei und die beiden durch den Austausch eines Tröpfchens Blut auch das Sprachvermögen ausgetauscht hatten. Und weil König Boris nicht wusste, dass Charlie und die Löwen miteinander sprachen, konnte er auch nicht wissen, dass sie echte Freunde waren, die viel gemeinsam durchgemacht hatten, und dass sie jetzt als Verbündete und Brüder zusammen reisten, fest dazu entschlossen, einander zu helfen und miteinander durch dick und dünn zu gehen. 'Sehr gut dressierte Zirkuslöwen', flüsterte König Boris. 'Bist du dir ganz sicher, dass sie lieb sind?' 'Ganz bestimmt', beruhigte ihn Charlie, 'ehrlich. Sie sind sehr intelligent. Sie fressen ihre Freunde nicht. Außerdem haben sie gerade einen Snack verdrückt.' Jetzt sah sich König Boris die Löwen genauer an, ihr glattes, glänzendes Fell, die langen Schwänze, die ruhige ...
Das löwenstarke Abenteuer um den Katz sprechenden Charlie geht weiter: In Venedig hofft er endlich seine entführten Eltern zu finden, doch von ihnen fehlt jede Spur. Im Palast des bulgarischen Königs Boris können sich Charlie und die Löwen zunächst vor ihren Verfolgern verstecken, aber was hat der undurchsichtige Geheimdienstchef Edward mit ihnen vor? Charlie wird klar, dass er und seine Freunde fliehen müssen.
Autorenporträt
Zizou Corder ist ein Pseudonym für die 1960 geborene Schriftstellerin Louisa Young und ihre 15-jährige Tochter Isabel Adomakoh Young. Die Geschichte von Lee Raven haben beide gemeinsam entwickelt. Bei Hanser erschienen bisher die Lionboy-Trilogie (2004-2006), die in über 35 Länder verkauft wurde, Lee Raven (2009) und zuletzt Halo - Tochter der Freiheit (2012).
