‚Die Zukunft der Juden‘

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Strategien zur Absicherung jüdischer Existenz in Deutschland (1890-1917), Kontingenzgeschichten 7

ISBN: 3593511266
ISBN 13: 9783593511269
Autor: Michaelis, Anna
Verlag: Campus Verlag
Umfang: 340 S.
Erscheinungsdatum: 20.11.2019
Auflage: 1/2019
Format: 2.2 x 21.3 x 14
Gewicht: 439 g
Produktform: Kartoniert
Einband: KT
Artikelnummer: 7143339 Kategorie:

Beschreibung

Vorwort In einer historiografischen Arbeit über Zukunftskonzeptionen und -bearbeitungen deutscher Jüdinnen und Juden im Kaiserreich ausgerechnet die jüdische Demografie, jedoch auch Aspekte der »jüdischen« Eugenik und »Rassenbiologie« mit den Maßnahmen jüdischer Sozialpolitik in Verbindung zu setzen, ist mit Einschränkungen ein gewagtes Unternehmen. Ohne hier weiter auf die Erwägungen bei der Wahl dieser Akteursgruppen eingehen zu wollen - das tue ich bereits in der Einleitung - möchte ich meiner Untersuchung daher in aller Kürze ein paar allgemeine Bemerkungen voranstellen. Im Rahmen von Vorträgen auf Konferenzen und bei Kolloquia bin ich häufig auf Erstaunen darüber gestoßen, dass jüdische Wissenschaftler sich an Debatten über Rassenbiologie und Eugenik beteiligt haben. Der Umstand, dass sich Mediziner und Demografen jüdischer Herkunft innerhalb eines diskursiven Rahmens, der später unter anderem die Schoah mitermöglicht hat, bewegt haben, erschien meinen Gesprächspartnerinnen und -partnern oft schwer nachvollziehbar. Gleichzeitig wurde mir auch immer wieder angetragen, dass doch der Antisemitismus die wesentliche Koordinate gewesen sein müsste, an dem die jüdischen Akteurinnen und Akteure in Wissenschaft wie Sozialpolitik ihr Handeln ausgerichtet hätten. Beide Einwände haben selbstredend ihre Berechtigung und ich habe dahingehende Gespräche als Möglichkeit begriffen, das Forschungskonzept meiner Arbeit zu schärfen und auszubauen. Am Ende meines Forschungsprozesses bin ich zuversichtlich, gezeigt zu haben, dass es unabdingbar ist, das jüdische Bürgertum des deutschen Kaiserreiches in den aus seiner Perspektive prinzipiell offenen Zukunftsperspektiven ernstzunehmen. Der Antisemitismus und in heutigen Begriffen rassistische Denkstile waren dabei sicherlich bedeutende Faktoren, die das Handeln der jüdischen Akteurinnen und Akteure beeinflusst haben und auch die Geschichte des europäischen Judentums in katastrophaler Weise geprägt haben. Doch ist es im Sinne der Empathie und einer nicht teleologischen verengten Geschichtsschreibung geboten, mit den Akteurinnen und Akteuren gemeinsam ein Wagnis einzugehen: Einen möglichst unverstellten Blick in die vergangene Zukunft. Ein paar Worte noch zur Sprache dieser Arbeit: Die Ausdrucksweise, in der sich die hier untersuchten Wissenschaftler und zum Teil auch die sozialpolitisch Engagierten geäußert haben, erscheint aus heutiger Perspektive höchst befremdlich, ist aber im Kontext wissenschaftlicher und sozialpolitischer Diskurse um die Jahrhundertwende zu lesen und zu analysieren. Die Tatsache, dass Menschen jüdischer Herkunft den Sprachstil dieser zeitgenössischen Diskurse verwendeten und sogar gezielt nutzten, um ihre Zukunftsperspektiven zu konzipieren, ist erwartbar, wenn man zeitgenössische Diskurse in ihren zahlreichen politischen und forschungsbezogenen Facetten anerkennt und analysiert. Wie es die methodologische Lauterkeit historiografischer Forschung gebietet, habe ich in der Arbeit darauf geachtet, Distanz zur Quellensprache zu wahren. Denn insbesondere wenn es darum geht, eine wissenschaftliche Debatte nachzuvollziehen, die nach heutigen Kriterien ausgesprochen problematisch ist, ist ein bewusster Umgang mit dem eigenen wissenschaftlichen Duktus unabdingbar. In der Praxis bedeutete dies oftmals, einen Kompromiss zwischen guter Lesbarkeit und klarer Abgrenzung zu finden. An den Stellen, an denen dies weniger gut gelungen sein mag, bitte ich um Nachsicht. Diese Arbeit wäre ohne die inhaltliche, finanzielle, moralische und emotionale Unterstützung einer Reihe von Personen und Institutionen nicht zustande gekommen, so dass eine Danksagung nur lückenhaft bleiben kann. Am Ende des Prozesses kann ich auf eine schier unübersehbare Zahl vieler Momente der Inspiration, kleiner hilfreicher Bemerkungen und ermutigender Worte zurückblicken - sei es in abendlicher Runde mit Freundinnen und Familie, beim Mittagessen in der Mensa oder beim Spaziergang im Park. Einigen Menschen und Einrichtungen gilt selbstredend besonderer Dank: Zunächst möchte ich meinen beiden Promotionsbetreuern Achim Landwehr und Frank Becker sehr herzlich danken, die mein Projekt mit wertvollem Rat und stetem Interesse in zugewandter Weise begleitet haben. Für bereichernden und konstruktiven Austausch danke ich ferner Nicolas Berg, Verena Dohrn, Philipp Lehnhard, Stefan Rohrbacher, Ann-Christin Saß, Ute Schneider, Falk Wiesemann, und schließlich Anke Hilbrenner für ihre Beratung rund um die Promotion in allen Lebenslagen. Diese Arbeit ist mitgeprägt durch die theoretisch-methodologischen Debatten im Graduiertenkolleg 1919 Vorsicht - Voraussicht - Vorhersage - Kontingenzbewältigung durch Zukunftshandeln, in dem ich seit 2013 assoziiert bin. Allen Mitgliedern des Kollegs möchte ich für den intensiven Austausch, die Kritik und die Anregungen danken, die dem Projekt einen wesentlichen Anstrich verliehen haben. Nicht zuletzt wurden durch die finanzielle Förderung des Graduiertenkolleg auch Forschungsaufenthalte in Jerusalem, Berlin und Potsdam ermöglicht, wofür ich mich an dieser Stelle bedanken möchte. Irmtraud Götz von Olenhusen und Stefan Rohrbacher werde ich mich für die Möglichkeit mit der Arbeit an ihren jeweiligen Instituten nicht nur wertvolle wissenschaftliche und lehrpraktische Erfahrungen zu sammeln, sondern auch die Promotion in einem ökonomisch gesicherten Rahmen voranzutreiben, immer verbunden fühlen. Danken möchte ich außerdem meinen Kolleginnen und Kollegen insbesondere des Institute für Geschichtswissenschaften und für Jüdische Studien an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, die mich auf dem Weg durch die Promotion unterstützt haben durch wissenschaftlichen Austausch, moralische Unterstützung und eine gute Portion Humor. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Archive, in denen ich gearbeitet habe, danke ich für die durchweg hilfsbereite und freundliche Unterstützung. Besonderer Dank gilt Sabine Hank und Barbara Welker vom Archiv Centrum Judaicum (Berlin), für ihre unerschöpfliche Versorgung mit Archivmaterial und netten Gesprächen am Mikrofilmgerät und beim Mittagessen. Für die Durchsicht der einzelnen Kapitel und die persönliche Unterstützung danke ich Katrin Gillißen, Nina Göddertz, Nicole Grothe, Frank Meier und Helmut Schneider. Meine Mutter Regine Michaelis war mir besonders in den letzten Monaten der Promotionsphase eine große Hilfe, indem sie mich im Privaten unterstützt und mir den Rücken frei gehalten hat. Meinem Mann David Schneider danke ich von Herzen für seine vielfältige Unterstützung und seine liebevolle Geduld und seinen großen Humor, aber auch für den alltäglichen inhaltlichen Austausch zwischen Tür und Angel. Mein Sohn Nathan hat mich - wenn auch unbeabsichtigt - in der letzten Phase der Fertigstellung immer wieder daran erinnert, dass es ein Leben jenseits der Doktorarbeit gibt. Die damit verbundenen zahlreichen Unterbrechungen von der Schreibtischarbeit haben die letzten Meter bis zur Abgabe und zur Verteidigung wenn auch gelegentlich verlangsamt, so doch erheblich versüßt. Dem Graduiertenkolleg 1919 Vorsicht - Voraussicht - Vorhersage - Kontingenzbewältigung durch Zukunftshandeln am Historischen Institut der Universität Duisburg-Essen und der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf danke ich für die Unterstützung durch Druckkostenzuschüsse. Dem Campus Verlag, insbesondere Jürgen Hotz, danke ich für die gute Zusammenarbeit. Anna Michaelis, Juli 2019 1. Einleitung Im Juni 1910 gab der jüdische Soziologe Arthur Ruppin in der Zeitschrift für Demographie und Statistik der Juden (ZDSJ) eine klare Prognose für die Zukunft des deutschen Judentums aus - entweder es realisiere die zionistische Utopie eines jüdischen Staates oder es sei zum Untergang verdammt: »Die Divination Theodor Herzls [!] dürfte zurecht bestehen, daß, wenn es dem Judenvolke gelingen wird, sein Schicksal in der Tendenz des Zionismus zu entscheiden, es kraft seiner hohen ...

Die Geschichte des deutschen Judentums um 1900 wird häufig als die einer Dualität zwischen Tradition und Moderne erzählt. Betrachtet man jedoch die jüdische Gemeinschaft nicht nur in ihrer zeitgenössischen Verfasstheit, sondern auch in ihren vergangenen Zukunftsperspektiven, so wird das Bild komplexer: Um sich angesichts sinkender Geburtenraten, der jüdischen Einwanderung aus Osteuropa und des erstarkenden Antisemitismus abzusichern, nutzten liberale Jüdinnen und Juden neuartige Instrumentarien. Anna Michaelis zeichnet entlang von Demografie, Medizin und Wohltätigkeitsorganisationen nach, wie das jüdische Bürgertum die Zukunft seiner Gemeinschaft konstruierte und bearbeitete.

Autorenporträt

Anna Michaelis ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Jüdische Studien der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

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