Friedhof der Riesen

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Erzählungen

ISBN: 3827010241
ISBN 13: 9783827010247
Autor: Wood, Lucy
Verlag: Berlin Verlag GmbH – Berlin
Umfang: 272 S.
Erscheinungsdatum: 26.02.2013
Format: 2.6 x 21 x 13.5
Gewicht: 396 g
Produktform: Gebunden/Hardback
Einband: GEB
Originaltitel: Diving Belles

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Artikelnummer: 4136427 Kategorie:

Beschreibung

Tauchende Schönheiten Iris schlug die dünnen Knöchel übereinander und legte die Hände im Schoß zusammen, während die Taucherglocke quietschend aufs Wasser zuruckelte. Anfangs hörte sie Demelza beim Kurbeln der Winde noch schreien und fluchen, doch als die Glocke vom Deck wegschwang, verlor sich ihre Stimme im Wind. Kalte Luft rauschte durch den offenen Boden, es roch nach dem Rost der fleckigen Schiffswände der Matriarch und nach brackigem Seetang. Iris saß auf einer schmalen Bank und musste sich bei jedem Schaukeln der Glocke gegen die Fußstütze stemmen. Sie stellte sich vor, in einer Kirchenglocke der Klöppel zu sein, der gleich laut schlagen und etwas verkünden würde. Sie heftete den Blick auf das kleine Fenster, um nicht nach unten zu sehen. Unter ihren Füßen war kein Boden, bloß eine große Öffnung, und das Meer wogte und spuckte. Langsam ruckte sie abwärts, ein paar Meter von der Bordwand des Trawlers entfernt, an die sich Seepocken und Muscheln klammerten wie Schiffsbrüchige an ein Wrack. Sie machte sich Sorgen um ihr neues Kleid und die geborgten Schuhe. Sie versuchte, sich die weißen Haare glattzustreichen, die in Wassernähe immer widerspenstig wurden. Die Holzbank drückte hart, und der Wind fuhr ihr an die nackten Beine, zupfte am Kleid und legte das Netz ihrer Adern bloß. Sie hatte die Strumpfhose vergessen; sonst trug sie immer Hosen und wusste, es war ein Fehler gewesen, das Kleid anzuziehen. Sie hatte sich überreden lassen, aber immerhin ein braunes gewählt, ein kleiner Sieg. Sie raffte den Rock und setzte sich darauf. Wenn sie schon zum ersten Mal nach achtundvierzig Jahren ihren Mann sehen würde, wollte sie ihm nicht gleich den Zustand ihrer Beine vor Augen halten. 'Ihr müsst Herzen brechen', sagte Demelza ihren Kundinnen immer und deutete dabei mit der Zigarette auf sie. 'Denn da unten habt ihr jede Menge Konkurrenz.' Gischt spritzte auf, als die Glocke ins Meer klatschte. Kaltes, dunkles Wasser stieg hoch. Iris hob die Füße und wartete, dass der Luftdruck das Wasser unter die Fußstütze drängte. Öloder Schaumflecken auf Annies Schuhen wollte sie vermeiden. Sie ging im Kopf eine Liste durch - Vanish, Scheuermilch, Natron , mit irgendwas würde sie die Flecken rauskriegen, aber das wäre aufwendig. Sie zog die Ärmel ihrer Strickjacke herunter und rückte die Rettungsweste zurecht. Tausende Blasen drängten sich an den Wänden der Taucherglocke empor, rollten wie Murmeln über das Sichtfenster. Sie spähte hinaus, konnte durchs aufgewühlte Wasser aber nichts erkennen. Als sie weiter hinabgesenkt wurde, beruhigte sich das Meer. Alles wurde still. Sie stellte die Füße wieder ab und schaute auf die Wasserscheibe darunter, flach und dick und kaum gekräuselt. Es könnte genauso gut Linoleum sein oder Schieferfliesen und kein Loch in luftlose Tiefen. Eine undeutliche graue Form schwamm vorbei. Die Taucherglocke legte sich mit einem Ruck schräg, richtete sich dann wieder auf und sank tiefer. Iris hielt sich die Handtasche vor die Brust und versuchte, nicht zu schnell zu atmen. Sie hatte Sauerstoff für etwa zwei Stunden, aber wenn sie in Panik geriet oder sich zu sehr aufregte, würde sie ihn rascher verbrauchen. Sie verschränkte und löste die Finger. 'Ich will Sie ja nicht wie nen schlappen Fisch wieder raufziehen', hatte Demelza bei jedem Tauchgang gesagt. 'Halten Sie sich nicht für schlauer, als Sie sind. Einmal an der Leine ziehen heißt Stopp, noch einmal heißt weiter. Zweimal ziehen für das Netz und dreimal, um wieder hochzukommen. Verstanden?' Beim ersten Mal hatte Iris die Anweisungen in ihrer dünnen, krakeligen Handschrift aufgeschrieben und zu den Taschentüchern und Pfefferminzbonbons in ihre Handtasche gesteckt, sicherheitshalber. Die Zugleine war durch einen Schlauch geführt, der an der Kette entlanglief, mit welcher die Glocke am Trawler hing. Demelza hatte das obere Ende an einem zerbeulten Gong befestigt, der bei jedem Zug laut schallte. Das andere

Sandige Fußspuren, die plötzlich im Haus eines jungen Paares auftauchen. Elstern, die einsamen Autofahrern in der Nacht etwas zuraunen. Frauen, die sich in Taucherglocken auf den Meeresboden hinablassen, um ihre verschollenen Männer wiederzufinden. Menschen, denen bei jedem Schritt Wasser aus den Stiefeln schwappt. Strandgut, Stechginster, Gebeine von Riesen. Licht in anderer Leute Häuser. Ein Baum, der Wünsche erfüllt. Menschen, die verschwinden, und nur ein kleines Fischlein bleibt zurück auf dem Kissen. Lucy Woods Debüt ist aufsehenerregend, zwölf Erzählungen, denen die Geschichte und Folklore Cornwalls eingeschrieben sind. Rau wie die Küste, windumtost und voll unerwarteter Umschwünge. 'Ein überwältigendes und überwältigend gutes Debüt!' JON McGREGOR

Autorenporträt

Lucy Wood wuchs in Cornwall auf und studierte Kreatives Schreiben an der Exeter University. «Friedhof der Riesen» ist ihr Debüt.

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