Andenken

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15,90 

ISBN: 3446207104
ISBN 13: 9783446207103
Autor: Brandt, Lars
Verlag: Carl Hanser Verlag GmbH & Co.KG
Umfang: 156 S., 5 s/w Illustr., 5 Illustr.
Erscheinungsdatum: 04.02.2006
Format: 1.6 x 20.8 x 13
Gewicht: 277 g
Produktform: Gebunden/Hardback
Einband: GEB

Nicht vorrätig

Artikelnummer: 1501405 Kategorie:

Beschreibung

Die Hand, die er einem zum Gruß entgegenstreckte, griff nicht zu. Persönliche Kontakte forderten ihm etwas ab, was aufzubringen schwerfiel. Das Manko zu kaschieren, bedeutete ebenfalls eine Anstrengung, zu der er sich nur aufraffte, wenn es sich unverkennbar lohnte. In Menschenansammlungen fühlte er sich besser aufgehoben als bei einzelnen, wenn nicht Funktionen und Zuordnungen klar definiert waren. Gruppen machten ihn weniger nervös. Menschenmassen, wo Gefühle zu abstrakten Strömen zusammenfließen, gaben ihm Sicherheit und stimulierten ihn. Über sie hingleitend wie über Gras, blieb jenseits der Weichheit seines Leibes die verschlossene Härte des Hauses, das er immer auf dem Rücken behielt, verborgen. Angefüllt mit Gefühlen kam er daher, es waren selten seine eigenen, denen er nur, wenn es unbedingt sein mußte, in der Tiefe seiner Brust einen Kurzbesuch abstattete. Dabei hatte er gerade dann Erfolg, wenn er auf sein Gefühl setzte und nicht alleine auf seinen Verstand. Wollte man der Charakterisierung folgen, die Henry Kissinger einst im Oval Office zum besten gab, wie im Stern stand, blieb ihm wohl auch wenig anderes übrig: &34;Ich glaube, Herr Präsident, das Hauptproblem liegt darin, daß er nicht sehr helle ist.&34; Nixon teilte diese Meinung: &34;Dieser Bursche. In der Tat. Brandt ist ein bißchen dumm.&34; &34;Brandt ist dumm. Und faul&34;, begeisterte sich Kissinger. &34;Nicht wahr?&34; bekräftigte Nixon. Kissinger firniste das Bild: &34;Und er trinkt.&34; Die Welt der harten Knaben eben. V. hätte bestimmt gerne darauf mit ihnen angestoßen. Gefühl für seine Zeit wurde ihm nachgesagt. Gefühl für etwas zu haben bedeutet allerdings anderes, als sich mit Gefühlen abzuplagen. Seine Isolation drückte sich nicht in kalter Arroganz aus. Wenn man ihm nicht zu sehr auf den Pelz rückte, konnte er Anhänglichkeit an den Tag legen. Zu manchen derer, die ihm aus der Exilzeit in Skandinavien nahestanden, riß der Kontakt über all die Jahre nicht ab. Wer ihm angenehm sein wollte, mußte aber selber beisteuern, was V. nicht aufbrachte, der es weder vermochte, noch das Bedürfnis zu spüren schien, Anteil an dem Leben anderer zu nehmen. Ein Durchlauferhitzer fremder Empfindungen war er. Das lieh ihm Macht über sie. Seine schlichte und um so wirkungsvollere Erkenntnis besagte, daß viele Menschen mit wenig zufrieden waren: Nämlich mit dem, was sie selber ihm mitgebracht hatten. Letztlich also mit sich alleine - solange sie nicht gezwungen waren, dieser Tatsache ins Auge zu schauen. Zum Zeichen, daß er es geschafft hatte, gewöhnte er sich schon in Berlin ab, eine Armbanduhr zu tragen und ein Portemonnaie zu benutzen. Anfangs flogen noch ein paar Münzen in seiner Hosentasche herum. Irgendwann ließ er auch die fort. Daß er als Kanzler eine Packung Zigaretten selber kaufte, ist wenig wahrscheinlich. In seiner Brieftasche steckten weiterhin ein paar größere Geldscheine - sie waren nicht dazu vorgesehen, es ihm zu erleichtern, sich selbständig in der kleinteiligen Welt zu bewegen. Wie jeder andere Geld bei sich zu tragen, war nun kein Bestandteil seiner Souveränität mehr. Auch seine Zeit hatte er nicht länger am Handgelenk. An die Stelle von Selbstbestimmung trat die Macht über andere. Macht. Nicht von der Art, die auf Zwang beruht oder Dienste kauft, sondern nebulöse Macht, die keine klaren Konturen zeigt. Seine Macht begann dort, wo rund um die Uhr andere zur Stelle waren, die sich um anfallende Rechnungen kümmern mußten. Er gewöhnte sich an all die Handreichungen und löste sich dabei nach und nach vom alltäglichen Leben. Auch den Umgang mit Menschen, die ihm nahestanden, dörrte er so aus, daß möglichst weite, einheitliche Flächen übrigblieben, kein Hin und Her unübersichtlicher Puzzlesteinchen der Verständigung. Nie wäre er auf die Idee gekommen, sich vor einem Termin, auf den wir beide uns Wochen im voraus mittels der Sekretärin verständigt hatten, nochmals zu erkundigen, wie man auf ...

Alle glauben, Willy Brandt zu kennen. Lars Brandt erzählt, was er in seinem Vater sieht. Ausgehend von einzelnen Momenten - Kindheitserinnerungen an das Berlin des Bürgermeisters Brandt, das gemeinsame Angeln, die Atmosphäre in der Kanzlervilla in Bonn, bis hin zu Brandts Fischsuppe für Herbert Wehner - zeigt der Autor seinen Vater in den privatesten Augenblicken. "Er bringt uns den zwar bekannten, aber doch fremden Menschen Willy Brandt erstaunlich rührend nahe." Uwe Timm

Autorenporträt

Lars Brandt, 1951 in Berlin geboren, lebt in Bonn. Er ist Filmemacher, bildender Künstler und Autor. 2001 erschien H.C. Artmann – Ein Gespräch, 2006 folgte im Hanser Verlag Andenken, 2008 der Roman Gold und Silber und 2012 Alles Zirkus.

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