Beschreibung
Ich lach mich weg. Ich werd nich mehr. Das klatscht gleich, aber kein Beifall.
Wenn Ihnen diese Sätze bekannt vorkommen, dann haben Sie die Eintrittskarte ins Nervdeutsch-Land praktisch schon in der Hand. Nervdeutsch - was soll das sein? Tja, mit gutem, mit richtigem Deutsch hat es nichts zu tun. Das Kriterium des Nervdeutschen ist eben, dass es nervt. Und zwar mächtig. Und zwar immer und ausnahmslos. Nervdeutsch will witzig und lustig sein, ödet aber an. Es will originell sein, wird aber von Millionen Menschen gebraucht. Es will locker und flockig sein, liegt aber steinhart auf der Zunge und im Magen. Es ist das Brot von gestern und vorgestern, zum Sonderpreis. Es ist der Spruch vom Grabbeltisch der Sprache. Deutsch im Ausverkauf. Sprachmülldeponie.
Sie kennen sie alle und fühlen sich von ihnen genervt: die Abschieds- und Grußformeln ('Bis dannimanski'), die Lautspielereien ('Alles in Dortmund' für Alles in Ordnung; 'Alaska' für Alles klar), die Verniedlichungen ('Wunderbärchen', 'Alles Klärchen!'), die Verdrehungen ('ramontisch'), den Klamauk ('Alles Roger in Kambodscha'), die Sprüche mit hohem Aggressionspotenzial ('Noch so 'n Ding - Augenring'), die Spaß-Übersetzungen ('Sellerie' für C'est la vie), Ersetzungen ('Kuhsaft' für Milch, 'Hopfenkaltschale' für Bier), Kombinationen ('Auf Wiedertschüss!') und Paradoxien ('Alle Klarheiten beseitigt'). Alle diese Peinlichkeiten und Auswüchse deutscher Unoriginalität.
Jeden Tag wird Ihnen Nervdeutsch hundert-, ja tausendfach aufgetischt - in der Familie, in der Schule, auf der Straße, im Supermarkt, im Büro, in der Kneipe, auf der Party. Sie sehen diese wahnsinnig witzigen Sprüche auf T-Shirts, Kaffeetassen, Werkstattschildern. Sie hören sie als Anmache im Club, als Dauernerv in der Werbung, als Nonsens-Smalltalk beim Betriebsfest, als Dauerrauschen, durch die Jahre und Jahrzehnte gespült, verwendet und verdaut von so vielen, dass nur noch die Hülsen übrig geblieben sind.
Über 'See you later, Alligator' können Sie schon lange nicht mehr lachen, das harmlose 'Alter Schwede!' ist Ihnen schon ein Dutzendmal entgegengeschallt, der pessimistische Dauerbrenner 'Muss ja!' und sein optimistisches Pendant 'Geht nicht gibt's nicht' sind Ihnen vertraut wie Ihr Vorname, das joviale 'Unter uns Pastorentöchtern' und die Sponti-Reminiszenz 'Keine Panik auf der Titanic' gehören zum Kulturgut. Auch die moderne Technologie hat das Nervdeutsch beeinflusst: Wer einmal ein 'Schlepptop' (Laptop) oder ein 'Notbuch' (Notebook) bedient hat, weiß, wo der Hammer hängt.
Schweren Herzens unberücksichtigt lassen mussten wir den Anglizismus und auch das, was das deutsche Feuilleton 'Denglisch' nennt, an und Pfirsich zweifellos purer Nerv: Wie oft wird sich heute nach langen Meetings committed, stehen wir Briefings und Shootings durch, sind wir mit Projects befasst, die dann eventuell noch in der Pipeline hängen, um schließlich - ist es denn die possibility! - doch noch gegreenlighted zu werden.
Doch so nervig die Unterspülung der deutschen Sprache durch das Globalidiom des Englischen sein kann, witziger und erhellender schien uns der Fundus an Verballhornungen, Lebensweisheiten ('So jung kommen wir nie wieder zusammen' - eine wahrhaft zentrale Einsicht in die Entwicklungslogik menschlichen Daseins!), Grundaxiomen ('Das Leben ist kein Ponyhof', wahlweise auch: 'Das Leben ist kein Mädchenpensionat') und Floskelantiquitäten aller Art zu sein.
So ist Nervdeutsch ein Sammelbegriff für Nervsprech aller Art, im Besonderen für das allgegenwärtige Gemeinplatz-Deutsch, Anti-Frau-Deutsch, Bürodeutsch, Dirtydeutsch, Dummdeutsch, Ich-mach-dich-fertig-Deutsch, Infantildeutsch, Kanakdeutsch, Kneipendeutsch, Partydeutsch, Prolldeutsch, Stammtischdeutsch, Türsteherdeutsch und Witz-du-bist-umzingelt-Deutsch.
Nervdeutsch - das sind die dummen Floskeln und blöden Sprüche, die Löcher im Käse der deutschen Sp ...
Noch so n Spruch - Kieferbruch! Dieses an und pfirsich praktische Sprach- und Wörterbuch ist das ultimative Kompendium deutschen Sprachgrauens: zum Bleistift von Guten Tacho bis Schankedön, von Hallöchen Popöchen bis Heroin spaziert oder bis baldrian! Wie? Das kriegt Ihre Festplatte nicht mit? Sorry, hey, aber da muss man leider durch als Lurch.
Autorenporträt
Marco Fechner lebt und arbeitet in München. Er hat nicht nur Germanistik, Philosophie und Geschichte studiert, sondern als Journalist und freier Autor jeden Tag professionell mit Sprache zu tun.